Ein Junge fährt auf dem Velo zur Schule. Eine ganz gewöhnliche Szene, sollte man meinen. Doch rundherum waren ungläubige Reaktionen zu beobachten. Was können wir dafür tun, dass diese banale Freiheit zur Normalität wird? Ich wünsche mir, dass Familien, Kinder und betagte Menschen von 8 bis 88 auf Velos durch Zürichs Strassen fahren können, ohne ihr Leben zu riskieren. Zürich ist kein Parkhaus. Der öffentliche Raum soll wieder ein Ort des Zusammenlebens werden.
In der Tempo-30-Zone zwischen Morgental und Möslistrasse wurden sämtliche Fussgängerstreifen entfernt. Damit kann der dichte Durchgangsverkehr ungehindert fliessen, was scheinbar auch in einem Quartierzentrum oberste Priorität geniesst. Für die Zufussgehenden wurden Inseln erstellt, um das Queren zu erleichtern. Ohne Fussgängerstreifen verlieren die Zufussgehenden zwar das Vortrittsrecht, dürfen aber im Gegenzug theoretisch die Strasse an jeder Stelle queren. Die Möglichkeiten dafür sind allerdings begrenzt, säumen doch zahlreiche Hindernisse beide Seiten der Strasse: Parkplätze, eine Bushaltestelle, Bäume und mehr.
Für jüngere Schulkinder ist eine Querung ohne Fussgängerstreifen ein Ding der Unmöglichkeit, für Gehbehinderte zumindest eine grosse Herausforderung und für Sehbehinderte kaum bewältigbar. Auch viele ältere Menschen tun sich mit dem Hürdenlauf sichtlich schwer. Wie konnte es passieren, dass an einem wichtigen Zentrumsort eine Verkehrssituation geschaffen wurde, welche die Bedürfnisse so vieler Nutzerinnen und Nutzer achselzuckend ignoriert?
Zu lange wurde der begrenzte öffentliche Raum in erster Linie für Autos optimiert. Doch weniger motorisierter Verkehr bedeutet immer auch eine Belebung des Raums durch Menschen, die miteinander in Kontakt treten, leben und arbeiten und etwa auch dort einkaufen, wo sie sind. Darum ist die Zeit gekommen, den öffentlichen Raum neu zu verteilen. Dies wird teils zulasten des automobilen Pendel- und Freizeitverkehrs gehen, der besonders in der Stadt untragbar geworden ist. Gewinnen werden die Menschen, gewinnen wird Zürich. Das ist der Paradigmenwechsel in der Verkehrspolitik. Diese Veränderung nehmen wir heute an die Hand.
Dieser Text erschien ursprünglich im Lokalinfo Zürich2